Stellungnahme zur
Änderung der Integrationskursverordnung – Wegfall von Sprachkursen und frauenfördernden Maßnahmen
Sehr geehrte Frau Bas, Sehr geehrter Herr Dobrindt,
mit diesem offenen Brief möchten wir sie auf einen Missstand aufmerksam machen, dessen Korrektur nun in ihren Händen liegt.
Die Bundesregierung hat am 27. November 2024 zur Effizienzsteigerung der Integrationskurse die von der Bundesministerin des Innern und für Heimat vorgelegte „Fünfte Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung“ beschlossen. Die Kursarten Jugendintegrationskurse und Eltern- bzw. Frauenintegrationskurse werden mit einer Übergangsphase seit dem 01.05.2025 eingestellt. Eine Wiederholung der B1-Prüfung ist nach der Neuregelung nur noch für Teilnehmende an einem Alphabetisierungskurs oder an einem Kurs mit besonderem sprachpädagogischen Förderbedarf (künftige Kursvariante „Kurs für gering Literalisierte“) möglich.
Das B1-Niveau gilt als Nachweis für ausreichende Sprachkenntnisse im Einbürgerungsverfahren. In der Regel ist das Sprachniveau B2 Eintrittstor bei Arbeitgeber*innen für eine Ausbildung oder für eine qualifizierte Berufsausübung.
Ein niedriges Sprachniveau erschwert die Wahrnehmung von Förderangeboten aus den Bereich SGB II (AVGS-Angebote, Coaching oder FbW).
Im kommunalen Kontext erwarten wir in Folge dieser Änderungen weitreichende arbeitsmarktpolitische und gesellschaftliche Konsequenzen. Es stellt sich die Frage, inwieweit es wirklich zielführend ist, Maßnahmen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt künftig nicht mehr auf die angesprochenen Zielgruppen zuzuschneiden. Es ist abzusehen, dass die neuen Regelungen zu einer allgemeinen Verzögerung von Integrationsprozessen und zu einem längeren Verbleib im sozialen Sicherungssystem führen wird. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass im Zuge von Ermöglichungsstrategien zukünftig überdurchschnittlich viele Migrant*innen als Analphabet*innen oder gering Literalisierte eingestuft werden könnten und somit in Bezug auf Bildungsgrad und berufliche Qualifikation ggf. eine folgenschwere Fehletikettierung erfahren. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels kann eine solche Entwicklung nicht wünschenswert sein!
Insbesondere ist aus gleichstellungspolitischer Perspektive zu befürchten, dass die eingeschränkten Möglichkeiten zum Spracherwerb als grundlegende Qualifizierungsvoraussetzung für den Arbeitsmarkt vor allem Frauen negativ betreffen werden. Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte sind in ihrer Teilhabe aufgrund von Sprachbarrieren, mangelnden Kinderbetreuungsangeboten und fehlenden Qualifizierungsmöglichkeiten immer noch stark benachteiligt. Sie benötigen in besonderem Maße eine lebenslagenorientierte Ansprache sowie vereinbarkeitsfreundliche Angebote der Qualifizierung.
Für viele zugewanderte Frauen sind daher Sprachkurse ein entscheidender Schritt zur Integration. Sie ermöglichen den Zugang zu Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Besonders frauenspezifische Kurse bieten einen geschützten Raum, in dem Frauen ihre Sprachkenntnisse verbessern, Selbstvertrauen gewinnen und sich auf die besonderen Herausforderungen ihrer Lebenssituation einstellen können. Der Wegfall dieser Kurse bedeutet, dass viele Frauen weiterhin mit Sprachbarrieren kämpfen werden, was ihren Zugang zu einer existenzsichernden Erwerbsarbeit blockiert und ihre gesellschaftliche Teilhabe insgesamt stark einschränkt. Kritisch ist hierbei überdies auch zu sehen, dass wichtige Beratungsangebote wie Fachstellen für Alleinerziehende im Zuge der neuen Verordnung in Teilen ebenfalls schon gestrichen worden sind.
Eine geringere Sprachkompetenz erschwert indes nicht nur die Integration in den Arbeitsmarkt, sondern erhöht auch die Gefahr der sozialen Isolation und kann langfristig zu Armut und Abhängigkeit führen. Gleichzeitig ist es erwiesen, dass eine unabhängige Existenzsicherung für Frauen die nachhaltigste Prävention vor häuslicher Gewalt darstellt. Das Vorhalten von entsprechenden Hilfesystemstrukturen in diesen Problemlagen dürfte die Kosten für Sprachkurse in der Summe um ein Vielfaches übersteigen.
Der Fachkräftemangel verschärft die Situation dahingehend, dass qualifizierte Frauen eine wichtige Ressource für den Arbeitsmarkt sind. Wenn sie durch fehlende Sprachförderung nicht ausreichend unterstützt werden, gehen wertvolle Potenziale verloren. Die explizite Reduzierung der frauenspezifischen Integrationsangebote sowie der Wegfall von Wiederholungsprüfungen gefährdet damit nicht nur die soziale Teilhabe der Frauen, sondern langfristig auch die Zukunft des deutschen Wirtschaftssystems.
Wir weisen hiermit nachdrücklich auf die umfassenden Folgen dieser Fehlentwicklung hin, die am tatsächlichen Effizienzgedanken vorbeigeht und mehr Kosten produziert sowie zusätzlich eine unwürdige Degradierung sowie ungebotene Härte mit sich bringt. Als Interessenvertretung für geschlechtliche Chancengleichheit und wirtschaftliche wie soziale Teilhabegerechtigkeit fordert die BAG Sie daher dringend dazu auf, die vorgenommen sowie geplanten Kürzungen zu überdenken und die Bedeutung frauenspezifischer Integrationsangebote anzuerkennen. Es ist notwendig, in die Sprachförderung zu investieren, um Chancengleichheit zu gewährleisten und die Integration zu fördern.
Unsere Forderungen:
- Beibehaltung bzw. Wiedereinführung der Möglichkeit für alle, den B.1-Kurs nach etwaigen Fehlversuchen zu wiederholen und damit abzuschließen
- Erhalt und Ausbau von Frauenintegrationskursen, um die besonderen Bedürfnisse von Migrantinnen zu berücksichtigen und eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt sowie allgemein in gesellschaftliche Strukturen zu ermöglichen
- Finanzielle Unterstützung für kommunale Anlaufstellen in den Jobcentern, bspw. in Form von Fachberatungsstellen für Alleinerziehende o.ä.
- Übernahme von politischer Verantwortung für die gesellschaftliche Teilhabe und Fachkräftesicherung durch Sprachförderung von Frauen
- Förderung von niedrigschwelligen und vereinbarkeitsfreundlichen Angeboten – um alle Frauen, unabhängig von Herkunft und Bildungsstand, zu erreichen und auch Teilnehmerinnen mit Sorgetätigkeit eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen
Wir appellieren an Sie, den zuständigen Minister für Inneres, die Bedeutung der Sprachförderung für zugewanderte Frauen ernst zu nehmen und an nachhaltigen und ressourcenorientieren Lösungen zu arbeiten. Gerne stehen wir Ihnen dazu unterstützend zur Seite.
Mit freundlichen Grüßen
Meike Pinkernell, Daniela Kolb und Ann-Kathrin Schütz
Landesarbeitsgemeinschaft hessischer Frauen- und Gleichstellungsbüros
Katrin Brüninghold und Luisa Arndt
BAG- Bundessprecherinnen
Berlin, den 1.9.2025